Nölen

Nein, einfach ist es nicht, zu leben. Erst willst Du nicht raus aus der Suppenbrühe, dann zerren sie Dich mit Gewalt ans Tageslicht, und von dieser Minute an sollst Du lernen. Ich rede aus Erfahrung, aber irgendwann bist Du 83 Jahre alt und bemerkst immer wieder: Es fehlt an Wissen! Und keiner sagt mir, wie ich ohne Fakten urteilen soll.
Urteilen = Verurteilen – es klingt nicht gut, ist aber tägliche Praxis. Frost legt sich auf meine Seele. Am Ende ist Wladi Putin doch ein humanistisch ausgerichteter Mensch, dem das Übermaß an Altruismus aus dem Hosenschlitz tropft – und ich habe es nicht mitbekommen? Zudem stirbt er an Corona, obwohl ich ihm die Beulenpest an den Hals gewünscht habe!

Da siehst Du, mit welchen Tücken man zu kämpfen hat, und das lebenslang. Fehlt nur noch, dass irgendein hedonistischer Lebenskünstler daher kommt und bemerkt, so wäre das Leben, und darauf einen Schluck aus der Champagnerflasche nimmt – während ich Sprudel von ALDI saufe, statt mir die Füsse damit zu waschen. Vermutlich stelle ich dann die Frage, was der hat, was ich nicht habe. Und das Leben antwortet kurz und unmissverständlich: „Champagner.“

Wenn sich der Schaumwein-Trinker dann in ein Auto setzt und gegen einen Baum fährt, so wird in der Tagesschau vier Tage lang berichtet, der Tote hätte es nicht einfach gehabt Er stamme aus einer Familie von Leibeigenen, hätte ärmlich gelebt, dann im Lotto gewonnen, was ihn in eine ganz andere Welt geschleudert habe und dazu zwang, sich völlig neu aufzustellen. Es sei nur zum Teil gelungen, deshalb holte ihn nun eine Flasche Taittinger aus den Stiefeln. Und ich ergänze im Stillen „aus dem Maseratti in die Mazeration“. Das ist ein schneller und wirksamer Weg, um den Höllenfeuern des Krematoriums zu entgehen. Und Studenten können mit Mittelhandknochen orakeln um die Frage, ob es heute in der Mensa schon wieder Reis mit Haschee gibt.

Zu allem Überfluss kommt die Natur mit unkalkulierbaren Tricks ins Spiel. Heute früh erwachte ich und finde draussen so um 5 cm Schnee. Alles weiß, aber nicht wissen, wozu. Nun weiß ich, wozu das Weissgenutzt wurde. Vier Stunden später: Alles Grün. Der Schnee war als Showeffekt hier abgelegt, aber die Eiskönigin kam nicht mit. Keine Zeit. Sie spielt in einem Musical in Hamburg, am Theater an der Elbe. Wenn sich heute früh der Winter, und heute mittag der Frühling zeigte, so muß der Sommer heute abend stattfinden; ich könnte in Badehose auf der Terrasse Vitamin D tanken. Bei diesem Gedanken wird mir ganz blümerant!

Da besteht kein Grund zur Sorge. Da wird nichts draus. Gelungen ist allerdings mein Text. Er ist mit meinem Hirn synchronisiert, also echt. Das ist Qualität – selbst für den Fall, dass man den Eindruck gewinnt, ich hätte gar kein Hirn. Wieso nun das Eigenlob? Ich wollte hier den norddeutschen Begriff „nölen“ erklären. Anderswo sagt man dazu „nörgeln“.

Das Verlangen, herum zu nölen legte sich übrigens just in dem Moment, als mir einfiel, dass ich einen Kartoffelsalat im Kühlschrank verstecke – meine Abendmahlzeit. Ich muss nur noch Geflügel braten. Hatte im Eis zwei Stücke gedunden. Weiss nicht, wo die am Huhn dran waren. Vorne und hinten? Sieht jedenfalls aus wie tote Quallen. Diese bestehen zu 99% aus Wasser. Fast wie Schweinefleisch aus einem Münsterländer Mastbetrieb.

Verflucht! Chaos im Kopf, Chaos vor dem Fenster. Es regnet heftig. Nach Sommerregen sieht es nicht aus. Ich mach‘ dann mal Schluß, bevor ich wieder unkontrolliert Fahrt aufnehme.

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