843 – Mai

Plötzlich und ganz und gar unerwartet, wie ein schweres Gewitter ist der Mai über uns hereingebrochen und pladdert uns 31 neue Tage vor die Füsse. Ist das eine vornehme Art? Wie sagte man früher? „Das gehört sich nicht!“

Dieser 1. Mai – ich verfluche ihn! Es ist ein Tag der Niederlagen. Im Hamburger Schanzenviertel werden traditionell Autos angezündet und Schaufensterscheiben zertrümmert – die radikalen Linken verlieren wie in jedem Jahr Respekt und Ansehen, weil man nicht ansehen kann, was die so treiben.
Und ich verliere.
Ich bin stolzer Besitzer einer Mai-Büx, und das seit einem knappen halben Jahrhundert. Es ist eine blütenweisse Stoffhose, die nur am 1. Mai getragen werden soll, also zur Feier dieses Tages. Man streift sie über und geht feiern, nicht Stadtteile abfackeln.
Meine Mai-Büx wurde noch nie getragen. Es sind also noch alle Knöpfe dran. Es geht immer nur um die Frage, könnte ich, wenn ich wollte? Ich mußte also heuer das Teil hervorsuchen, und reinsteigen. Das kriege ich wegen meiner Behinderung nicht realisiert. Aber ich habe ein flexibles Massband und messe nach. Das Ergebnis ist eindeutig und unstrittig. In diese Mai-Büx passt eines meiner Beine rein, nicht beide.
Für das Hinterteil wird´s sehr eng, und der Bauch muss draussen bleiben.

Ich habe es probiert. Vor dem Spiegel. Es entwickelte sich ein Bild von mir, das ich noch nicht kannte: Demenz Phase 4 kurz vor einem Schlaganfall.

Nach dem ersten Schreck bin ich rasch in meinen alten Schlabberlook geflüchtet.. Da drinnen sehe ich aus wie immer. Speisekarte auf dem Shirt, Löcher in der Hose, es sind neuerdings bemehlte Löcher, und dazu die obligatorische Bemerkung von W., was meine Tocht …. ok ….. also die Bemerkung aus der Ecke des halbgebildeten Proletariats:
„Papa, Du siehst aus wie ein Clochard!“ Ja, wir sind da etwas feinsinnig und sprechen nicht von Pennern und Berbern. Da kommt glatt etwas Frankophiles ans Tageslicht, wie bei Baguette, Fromage und Vin rouge.

Es ist alles nur nette Wortspielerei, bis zu dem Punkt, wo ich gewinnen will. Das Bild hat sich diesmal verändert. Ich sass noch immer verlottert an meinem Schreibtisch, habe aber rasch entschieden, womit ich zurückschlage. Nun bin ich nicht besonders wortgewandt, und es fehlt mir an Humor – aber ich kann Geld ausgeben! Ein kurzer Moment mit Schweissausbruch, und ich habe – ohne W. zu fragen – eine Küchenmaschine von Kenwood bestellt. Es war ein bißchen wie einen Mercedes kaufen. Und ich freue mich heute auf den nächsten Mittwoch, wenn W. an der Haustür ein 15 kg-Paket entgegen nehmen muss, dieses öffnet mit der Bemerkung „Was soll die Scheiiiiiiße! Was soll das? Wir haben keinen Platz für dieses Monster!
„Der Toaster und meine Kästen für Salz, Zwiebeln ….. alles bleibt!“ Und ich werde wie ein Tornado über die Arbeitsplatte fegen und einen halben Quadratmeter freiblasen! Dann werde ich einen Teig rühren „lassen“ und einen irischen Apfelkuchen backen. Wenn dessen Duft unsere Hütte durchstreift, und selbst die Toilette apettit-anregend wirkt, wird sich der Sturm legen; einen Becher Kaffee lege ich dann kostenlos oben drauf.

Und so habe ich nicht nur den Clochard ausgeglichen. sondern zusätzlich ein Problem gelöst. Ich schaffe es nämlich es nicht, schwere Teige von Hand zu kneten. 5 Minuten geht, 15 nicht. Ich kann also nicht, und W. will nicht. Ergo: Mr.Kenwood, willkommen im Team!

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