Der folgende Text stammt von Paul Gäbler (BZ – Berliner Zeitung). Ich habe ihn „geliehen“, und dies aus gutem Grund. Er wärmt mir die Seele, und ich fühlte mich beim Lesen „wie zu Hause“. Schliesslich bin ich Pfälzer, und Mainz liegt praktisch nur um die Ecke, ist ein guter Nachbar.
Herrn Gäbler’s Text erinnert mich an meine Jugend. Schoppen Schorle nach dem Training – süss oder sauer – ist Mineralwasser oder Zitronen-Limo mit Weingeschmack, es sind Wunderwaffen gegen den Durst.
Ein Berliner erlebt Mainz:
„Die Bar heißt Apotheke, und schon beim Betreten wird klar, dass der Abend besonders wird. Meine Begleitung erklärt mir, dass das früher tatsächlich eine Apotheke gewesen sei und deren Aufgabe einfach übernommen wurde: Medizinausschank für die Bedürftigen, denn Alkohol könne sehr wohl eine Lösung sein. Solange man mit den Nebenwirkungen klarkomme. Ihre berechtigte Frage: „Welches Medikament hat denn keine?“
Wagnis Weinschorle: Wie gut kann etwas schmecken, das man mit Wasser verdünnt?
Ich möchte mir gerade ein Bier bestellen, da knallt mir meine Begleitung eine Weißweinschorle vor die Nase mit dem Hinweis, das trinke man hier so. Sie und die Barkeeperin schauen mich eindringlich an. Widerworte werden nicht geduldet.
Als Berliner bin ich viel gewöhnt. Kulinarisch haben wir die Welt damit bereichert, eine Wurst in Ketchup und Curry zu ertränken und Fleisch und Salat in ein Fladenbrot zu pressen. Wir schütten Cola mit Weinbrand zusammen und loben das Getränk dafür, einen schnell betrunken zu machen. Von dem grauenvollen Bier, das wir hier zusammenpanschen, möchte ich gar nicht erst anfangen.
Vor zwei Wochen zog es mich vorübergehend nach Mainz, nach Rheinland-Pfalz, genauer: Rheinhessen. Die Stadt ist so schief gewachsen, dass ein Stadtteil in Wiesbaden und damit in einem anderen Bundesland liegt. Alles hier ist katholisch, was bedeutet: Man trägt ein strenges, moralisches Regelkorsett, an das sich aber niemand hält, und dementsprechend lustig geht es überall zu. Ganz anders als in meiner heidnischen, eher humorlosen Heimatstadt Berlin.
Es ist mein erster Kneipenbesuch in Mainz, und die Unterschiede fallen mir wie Bierdeckel von der Stirn: Ich bin in einer Weinregion gelandet, proletarische Gelage mit Bier und süßlichen Spirituosen kommen hier nicht vor (auch wenn mir Ureinwohner berichten, dass sich dies in der Karnevalssaison ändern kann). Ich muss meinen Geschmackshorizont erweitern. Das ist schon okay. Ich muss, ich will mich ja auch verändern. Sonst hätte ich auch in Berlin bleiben können.
Ich nicke erst meiner Begleitung und dann der Weißweinschorle zu, um jeweils zu signalisieren, dass ich mich fügen werde. Bisher hatte ich um das Getränk immer einen weiten Bogen gemacht, wenn es zu feierlichen Anlässen adrett neben Canapés und Orangensaft serviert und von Prenzlauer-Berg-Bewohnern in sich hineingeschüttet wird. Wie gut kann etwas schmecken, das man extra mit Wasser verdünnt?
Nach ein paar vorsichtigen Schlucken merke ich: Es schmeckt. Die Barkeeperin gibt mir High Five und erklärt, dass das Geheimnis darin bestehe, guten Wein und keine billige Plörre zu verwenden. Mutig kippe ich die Flüssigkeit in mich hinein und spüre, wie Kohlensäure und Alkohol in meiner Magengrube mit den Feierlichkeiten beginnen.
Meine Begleitung schaut mich zufrieden an, in ihrem Blick erkenne ich Respekt, aber dann geraten die Dinge außer Kontrolle. Ich beginne zu schorlisieren. Die gesamte Bar dreht sich plötzlich zu mir um und möchte mich zum Weinkönig krönen. Jürgen Klopp steht unvermittelt neben mir, tätschelt mir die Schultern und sagt, er sei stolz auf mich.
Vielleicht war es doch mehr als nur eine Weißweinschorle, denke ich, während sie mich in einer feierlichen Prozession zum Rheinufer tragen. Was Spaß ist, muss man den Mainzern nun wirklich nicht erklären.“
Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.